Der Pflegeberuf hat ein Nachwuchsproblem. Wenig Gehalt, lange Arbeitszeiten und schlechte Karrierechancen, so die gängigen Vorurteile. Junge Menschen zögern auch deshalb, die Ausbildung zu beginnen, obwohl sie sich eigentlich für Pflege interessieren. Die Fakten sprechen allerdings eine andere Sprache. Laut Statistischem Bundesamt sind die Verdienste von Pflegefachkräften in den vergangenen zehn Jahren um rund ein Drittel gestiegen. Arbeitgeber bieten immer häufiger flexiblere Arbeitszeiten und finanzielle Anreizmodelle an. Auch sind die Karrierechancen in der Pflege durch die Möglichkeit zur fachlichen Spezialisierung seit der Reform der Pflegeausbildung deutlich einfacher geworden.
Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wir haben mit Ann-Sophie Schmidt gesprochen. Die 23-Jährige muss es wissen. Sie ist seit zwei Jahren examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet Vollzeit auf der Notfallstation eines städtischen Krankenhauses. Im Gespräch erzählt uns die Nürnbergerin, wie sie die Ausbildung in der Pflege erlebt, wie ihr Einstieg in den Beruf geklappt und ob es wirklich der Job ist, von dem Sie immer geträumt hat.
Liebe Frau Schmidt, was waren Ihre Beweggründe, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen?
Ich hatte damals ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Altenheim gemacht. Dort hat man mir angeboten, für eine Woche in die Pflegeausbildung zu schnuppern. Das hat mir sehr gefallen. Ich wurde toll an die Hand genommen. Eine Kollegin war immer an meiner Seite und zeigte mir, was ich zu tun hatte. Dadurch wurde ich sehr schnell selbstständig. Die Resonanz der Kollegen auf meine Arbeit, aber auch die der Bewohner, war einfach großartig. Von da an stand mein Entschluss fest.
Inwieweit hat das Arbeiten mit Menschen bei der Entscheidung für den Pflegeberuf eine Rolle gespielt?
Eine ganz erhebliche. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn sie einen Menschen behandeln können und der sich im Anschluss wohler fühlt. Das klingt für jemanden, der nicht in der Pflege arbeitet, vielleicht verrückt. Aber für mich ist das total wichtig: Wenn ich eine pflegebedürftige Person duschen kann, dann ist das für mich ein viel befriedigenderes Gefühl als diesen Menschen nur mit dem Waschlappen sauber zu machen. Die Menschen fühlen sich einfach viel wohler. Das empfinde ich als sehr erfüllend.
Viele junge Menschen empfinden pflegerische Tätigkeiten häufig als unangenehm. Was sagen Sie dazu?
Am Anfang haben die meisten Berührungsängste. Das ist doch ganz klar. Das ist aber nicht schlimm. Umso wichtiger ist es, Einblicke in den Beruf zu bekommen, sei es durch ein Praktikum oder ein Freiwilliges Soziales Jahr, so wie ich es gemacht habe. Ebenso wichtig ist es, Praktikanten und Auszubildenden immer eine Kollegin oder einen Kollegen an die Seite zu stellen, um erklärende Anweisungen zu geben. So können viel leichter Ängste genommen und Unsicherheiten überwunden werden. Mir hat das sehr geholfen. Gleichzeitig ist das auch für die Bewohner und die Patienten wichtig. Die haben auch ein Schamgefühl und wünschen sich eine Fachkraft, die sorgsam mit ihnen umgeht und die weiß, was sie tut.
Pflege ist aber doch weit mehr als „nur“ Waschen und Duschen?
Auf jeden Fall. Der medizinische Teil der Arbeit darf auf keinen Fall vergessen werden. Der reicht von der Medikamentengabe, d. h. der Behandlungspflege bis hin zu einer Vielzahl von Routine-Untersuchungen und der Assistenz der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die Zusammenarbeit ist da sehr eng und notwendig, weil wir in der Regel viel dichter am Patienten sind. Unsere Einschätzung kann enorm bei der ärztlichen Beurteilung und Behandlung helfen. Das ist eine große Verantwortung.
Wie umfangreich ist denn die medizinische Ausbildung in der Pflege?
Sehr umfangreich. Manchmal habe ich beim Lernen gedacht: „Ich studiere doch keine Medizin.“ (lacht) Es hat natürlich auch einen guten Grund, warum angehende Pflegekräfte eine gute medizinische Ausbildung benötigen. Denn es warten einige Herausforderungen im Berufsalltag, auf die habe ich mich nach all den Lernstrapazen sehr gut vorbereitet gefühlt. Vor allem habe ich mich schnell verbessert. Das, was ich in der Theorie gelernt habe, konnte ich im Job schnell anwenden.
Sie haben Ihre Ausbildung vor zwei Jahren abgeschlossen und arbeiten seitdem als Krankenpflegerin. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich arbeite momentan auf der Notfallstation. Das gefällt mir sehr gut. Darum überlege ich auch, eine Weiterbildung zur Notfallpflegerin zu machen. Die Intensivmedizin finde ich auch sehr spannend. Die Möglichkeiten in der Pflege sind je nach persönlichem Interesse sehr vielfältig. Das ist wirklich schön.
In welche medizinischen Bereiche haben Sie während der Ausbildung einen Einblick erhalten?
In sehr viele. So ist die Ausbildung generell auch angelegt. Ich war zum Beispiel anfangs in der Orthopädie, bin dann auf die internistische Station und in die Chirurgie gewechselt. Die Altenpflege stand natürlich auch auf dem Plan – genauso wie die ambulante Pflege. Insgesamt habe ich praktisch in sehr vielen Disziplinen arbeiten müssen. Das ist aber auch sehr spannend, weil die Aufgaben immer andere sind und somit auch anderes Fachwissen voraussetzen.
Würden Sie jungen Leuten den Pflegeberuf an Herz legen?
Ja, das würde ich. Allerdings sollte jeder selbst für sich prüfen, ob ihm die Arbeit mit Menschen auch Spaß macht. Das ist wichtig zu wissen, wenn man in der Pflege arbeiten möchte. Denn der Beruf ist wie jeder andere auch nicht für jeden geeignet. Mir zum Beispiel liegt die Arbeit mit Menschen sehr. Ich bin froh darüber, jeden Tag meinen Patienten helfen zu können. Ihre Dankbarkeit beflügelt mich. Das ist immer wieder ein tolles Gefühl. Für mich gibt es keinen schöneren Beruf am Menschen.
Was schätzen Sie besonders an Ihrem Beruf?
Gegenfrage: In welchem Beruf bekommt man solche Dankbarkeit zurück? Besonders schätze ich, dass ich so schnell die Verbesserung am Patienten sehen kann, wenn ich ihnen geholfen habe.
Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel: Der Pflegeberuf steht in den Medien oft in der Kritik. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Beim Gehalt in der Ausbildung kann man nicht meckern. Ich persönlich sehe aber den größten Bedarf in der Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Ich muss beispielsweise sehr lange im Voraus meinen Urlaub planen. Spontan verreisen oder wegfahren ist oftmals schwer, weil Stunden oder Schichten dann getauscht werden müssen. Gerade für jüngere Leute, die sich für den Pflegeberuf interessieren sollen, aber sehr unternehmungsfreudig sind, wäre das ein überzeugendes Argument, wenn sie sich Arbeitszeiten flexibler einteilen könnten.
Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Es kommt immer wieder vor, dass ich angerufen und gefragt werde, ob ich an meinem freien Wochenende einspringen kann. Das fiele einem natürlich sehr viel leichter, wenn es entsprechende Anreize geben würde. In vielen Kliniken ist es schon gelebte Praxis: Wer einspringt oder eine Extra-Schicht schiebt, bekommt zumindest einen Einkaufsgutschein. Das ist nicht viel, aber schon mal ein Anfang.
Welche Situation auf Station hat Sie in der Vergangenheit besonders berührt?
Da gibt es viele. Aber eines ist noch gar nicht so lange her. Da kam ein älterer Patient auf Station, der nicht gesprochen hat. Den Grund dafür kannten wir nicht. Er musste einen Katheter bekommen, den ich ihm gelegt habe. Hinterher hat er mich wortlos in den Arm genommen und mir so seine Dankbarkeit ausgedrückt. Das hat mich sehr berührt.